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Die Linke

Die homosexuelle Gefahr

„Die Homosexuellen unterwanderten den nationalsozialistischen Männerstaat.“ So tönte es von Wenzeslaus Graf von Gleispach 1934 zur Begründung der Aktionen gegen die „homoverseuchte“ SA-Spitze unter Ernst Röhm Ende Juni 1934.¹

Albertplatz in den 1930er Jahren - zeitgenössischen Postkarte
Albertplatz in den 1930er Jahren – zeitgenössischen Postkarte

Er forderte, wie sein Chef Heinrich Himmler, der Führer der SS, die damals noch der SA unterstand, eine radikale Verschärfung des sogenannten Schwulenparagraphen 175 des Reichsstrafgesetzbuches. Nachdem mit Hilfe Himmlers der SA der „schwule Kopf“ abgeschlagen wurde, kam es zu einer großen Säuberungsaktion in der NSDAP und zu Machtverschiebungen in den NS-Organisationen. Als Dank für seine Hilfen bekam Himmler die Eigenständigkeit der SS sowie die Reichsgewalt über die Polizei. Sein Graf wurde zum Berichterstatter der Neugestaltung des gesamten Strafrechts im nationalsozialistischen Sinne.²

Vor 90 Jahren

Am 7. Mai 1935 konnten von Gleispach und Himmler endlich frohlocken. An diesem Tag teilte das Reichsjustizministerium den Geheimen Staatspolizeiämtern (Gestapa) in den Ländern die endgültige Fassung des verschärften Paragraphen 175 mit.³ Die Gesetzesfassung im Reichsgesetzblatt erfolgte am 28. Juni 1935. In Kraft trat es dann zum 1. September 1935.⁴ In der SS-Zentrale ließ man die Sektkorken knallen.

Der „größte Mangel“ des alten Gesetzes vom 15. Mai 1871, also kurz nach Gründung des Deutschen Kaiserreiches erlassen, war es, dass nur „beischlafähnliche Handlungen“ verfolgt wurden. Da jemanden in flagranti, also in Ausübung der „schändlichen Tat“ zu erwischen, war nicht einfach. Sehr zum Ärger des neuen Chefs der Reichspolizei und Führers der SS.

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Kampf gegen die Unzucht

Man war in Berlin überzeugt, dass man die Führung dieses Kampfes gegen die Unzucht nicht der Kriminalpolizei überlassen durfte, sondern dass diese gewaltige Aufgabe in die Hände der neuen politischen Macht und deren Vollstrecker von der Politischen Polizei gehöre, denn Homosexuelle seien grundsätzlich staatsfeindlich eingestellt, so die Ansicht.³

So entstand im Oktober 1936 die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung. In einem Geheimpapier wurde beides als „Volksseuche“ tituliert. So wurde eine Reichskartei für Abtreiber und Strichjungen eingeführt. Neben Strichern und „Jugendverführern“ sollten vor allem homosexuelle Mitglieder in den NS-Organisationen, Wehrmachtsangehörige, Ordensmänner, Beamte, Juden und Männer, die vor der Machtergreifung der Nazis führende Stellungen innehatten, erfasst werden. Als Strafen gab es neben Zuchthaus das Gefängnis. Geldstrafen, wie im alten Gesetz, wurden weitestgehend nicht mehr genutzt.

Da Himmler der Meinung war, „dass der Homosexuelle genauso homosexuell aus dem Knast kam, wie er reinkam“, wurde nach der Verbüßung der Gefängnisstrafe dieser „Staatsfeind“ zunehmend ab 1937 in ein KZ „überwiesen“. In der Führung der SS rechnete man mit etwa 2 Millionen Homosexuellen in Deutschland.³

Dresdner Nachrichten vom 7. Mai 1935
Dresdner Nachrichten vom 7. Mai 1935

Nur nicht gesehen werden

Martin Rotloff, der 21-jährige Student der Medizin, trat an diesem frühlingshaften 8. Mai 1935 wohlgelaunt einen aktuellen Schlager pfeifend und passabel angezogen vor die Haustür in der Alaunstraße 7. Sein Freund Werner Schwabe, der gerade 22 gewordene Schlosser aus dem Nachbarhaus, kam lächelnd von rechts. Er war eher ein ruhiger und zurückhaltender Zeitgenosse. Beide kannten sich von klein auf. Nur dass Martins Eltern betuchter waren und ihrem Sprössling das Gymnasium in der Holzhofgasse und anschließend ein Medizinstudium an der TH Dresden ermöglichten. Die praktische Ausbildung erfolgte am neugebildeten Rudolf-Heß-Krankenhaus.⁵

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Und beide Freunde erkannten recht frühzeitig eine gegenseitige homoerotische Anziehungskraft. Martin schnatterte nach der Begrüßung per Handschlag los und erzählte die neuesten Schrullen aus seinem Studium, während Werner schmunzelnd zuhörte.

Am Albertplatz

„Schau mal da. Das Bienchen ist schon wieder bei der Arbeit“, unterbrach Werner leise den Wortschwall von Martin, als sie das Rondell an der Straßenbahnhaltestelle auf dem Albertplatz erreichten. Rechts am Gebäude führte eine Treppe nach unten in die Herrentoilette. Auf dieser kam gerade ein nicht mehr ganz junger Mann nach oben. Martin sah das Bienchen ebenfalls im Augenwinkel, packte Werner aber am Oberarm und überquerte mit ihm zügig die Gleise.

Werner verstand. In diesen Zeiten war eine Begegnung so nahe an der unter den Schwulen bekannten Klappe nicht ratsam. Man wusste nie, wer einen beobachtete und dann bei der Polizei denunzierte. Das Bienchen, im bürgerlichen Leben hieß er Sebastian Pflüger und war Kellner in dem von Homosexuellen gern frequentierten Weinrestaurant „Grinzinger“ in der Kleinen Brüdergasse hinter der Sophienkirche. Der Inhaber dieses Lokals der etwas gehobeneren gesellschaftlichen Klassen war Schwulen gegenüber nicht abgeneigt. Zumal der Inhaber einige Kellner mit dieser Veranlagung zu seinen Mitarbeitern zählte und diesen Gästen das Geld meist locker in den Portemonnaies saß. Auch das extrovertierte Verhalten einiger amüsierte die „ganz normalen“, wie Bienchen immer sagte.

Das Bienchen verstand die Haltung der beiden nur zu gut. Er kannte das Auf und Ab der Toleranz den Schwulen gegenüber im Kaiserreich, in der Kriegszeit und in der Weimarer Republik, wo man den § 175 je nach Gustos der Richter, der Polizeiwachtmeister und der unterschiedlichen Parteien nach Lust und Laune auslegte. Am tolerantesten war man eher in den bürgerlichen Kreisen, besonders unter Künstlern und Schauspielern. Toleranz wurde meist als Gnadenakt gezeigt. Sehr gering geschätzt wurden die Schwulen und teilweise auch die Lesben bei den Kommunisten und den Nationalsozialisten. Und seit der Machtübergabe an letztere musste man sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Wohnhaus und im Berufsleben höchst vorsichtig sein.

Im Grinzinger

Als Martin und Werner die Tür zum „Grinzinger“ öffneten, kam ihnen zuerst ein Schwall von Zigarettenqualm und Alkoholdunst entgegen, der sicher froh war, vor seinem eigenen Gestank in die frühlingshafte Abendluft entfleuchen zu können. Der Kellner Franz Meier, genannt flotte Lotte, grinste sie an und wies auf einen Tisch, wo schon zwei Herren saßen. Der eine war wohl Mitte 40, der als Kaufmann Helmut hier Stammgast war, und der andere war sein neuestes Schnuckelchen, Anton mit Namen, der wohl gerade mal die 18 erreicht haben könnte. Bei Nachfrage hieß es, er sei 21. Was soll’s, manche sehen mit 40 noch wie 20 aus. Martin und Werner war’s wurscht.

Weingasthaus Grinziger - zeitgenössische Postkarte
Weingasthaus Grinziger – zeitgenössische Postkarte

Nach dem üblichen Gesabbel über Wetter, Tagwerk und sonstigem Bla-bla kam Helmut auf ein ernsteres Thema, die aktuelle Verschärfung des § 175.

„Wir werden böse Zeiten erleben“, sagte er mit leiser Stimme. „Unsereins muss vorsichtiger sein.“ Wie um die letzten Möglichkeiten zu nutzen, streichelte er seinem süßen Anton erst die Wange und dann dessen Oberschenkel, was dieser mit einem verlegenen Lächeln bedachte. „Es wird schon nicht so schlimm werden. Schließlich gibt es auch unter den Nazis noch etliche Schwule“, warf Martin ein. „Ich kenne einige. Und der Führer wird nicht gegen seine eigenen Leute vorgehen.“

„Der Hergott erhalte dir deinen Glauben“, warf der sonst so stille Werner ein. „Ich erinnere dich nur an die Erschießungen der schwulen SA-Führung beim sogenannten Röhm-Putsch vergangenes Jahr. Da wurde selbst vor Strichern nicht Halt gemacht.“

Zustimmendes Kopfnicken bei Helmut. Daraufhin bestellte er für alle am Tisch eine neue Flasche Wein. Er war für seine Großzügigkeit bekannt und konnte sich dadurch die schönsten und jüngsten, meist auch recht mittellosen Burschen angeln.

Nachdenklichkeit machte sich am Tisch breit. Nachdem die Flasche geleert war, ging es nach Hause. Morgen war ein neuer Arbeitstag.

Das Ziel der Verschärfung: Die Vernichtung des homosexuellen Menschen

Unter Beobachtung der Politischen Polizei standen schnell die Treffpunkte der Homosexuellen. Razzia folgte auf Razzia. Es wurden Geständnisse erpresst und „Erwischte“ zur Denunziation „motiviert“. Sogenannte „Verführer“ und „Wiederholungstäter“ wurden zunehmend in die KZ geworfen, dort misshandelt. Die Gefährlichkeit der „Verführer“ übersteige jede Vorstellungskraft, las man in einer Nazi-Zeitschrift. „Vierzigtausend Anormale, die man sehr wohl aus der Volksgemeinschaft ausscheiden könnte, sind, wenn man ihnen die Freiheit lässt, imstande, zwei Millionen zu vergiften.“⁶

In den KZ erfolgte eine sichtbare Kennzeichnung der männlichen Homosexuellen zunächst mit einem „A“ für anormal und dann mit dem „Rosa Winkel“. Die Behandlung durch die Wachmannschaften war grausam. Die Häftlinge hatten noch schlechtere Bedingungen als die politischen Gefangenen. Die Todesfälle waren im Vergleich höher. Es kam auch zu willkürlichen Mordaktionen. Im KZ Buchenwald wurde zwischen Juli und September 1939 fast die Hälfte der damaligen Rosa-Winkel-Häftlinge getötet. Um dem Tode zu entgehen, auch in der Hoffnung, dieser Hölle zu entkommen, ließen sich viele Häftlinge zunächst „freiwillig“ kastrieren. Das war aber vergebliches Hoffen. Später erfolgten auch Zwangskastrationen.³

Am 15. November 1941 ordnete Adolf Hitler persönlich die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen an. 1943 wurde die Todesstrafe auch für homosexuelle Handlungen für Angehörige der Wehrmacht eingeführt.³

Seitens der anderen Häftlinge gab es kaum Solidarität. Das Prestige des Rosa Winkels war in allen KZ eindeutig negativ. Viele gingen auch in den freiwilligen Tod, nachdem sie den einzigen Freund, ihren einzigen Halt in diesem Dasein, durch Krankheit oder Tod verloren hatten. Es kam auch vor, dass zwei Freunde gemeinsam in den Tod gingen, wie der Auschwitzkommandant Rudolf Höss recht zynisch in seinen autobiografischen Aufzeichnungen schilderte.⁷

Die Mehrheit der schwulen Gefangenen überlebte die Konzentrationslager nicht. Die Todesrate betrug nahezu 60 Prozent.³

Anmerkungen des Autors

1 Der sogenannte Röhmputsch. Die Führungsspitze der SA (Sturmabteilung) um den homosexuellen Ernst Röhm, dessen Veranlagung Adolf Hitler bekannt war, putschte nicht, hatte aber ein anderes soziales Verständnis vom Nationalsozialismus, was der NSDAP-Führung zunehmend ein Problem bereitete. In der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 schlug auf Hitlers Befehl die SS unter Himmler zu. Infolgedessen wurde in dieser Nacht die SA-Spitze ermordet. Lange vorbereitet, kamen in den folgenden Tagen mindestens 90 Personen ums Leben. Das waren nicht nur Homosexuelle aus dem Umfeld der SA, sondern auch weitere missliebige Personen, wie etwa den ehemaligen Reichskanzler General Kurt von Schleicher.
2 Dresdner Nachrichten vom 7. Mai 1935
3 Alexander Zinn „Von Staatsfeinden zu Überbleibseln der kapitalistischen Ordnung“ Homosexuelle in Sachsen 1933–1968; Hannah-Arendt-Institut der TU Dresden; Berichte und Studien Nr. 86, Vandenhoeck & Ruprecht Verlage 2021, ISBN 978-3-8471-1322-5
4 § 175

    (1) Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.
    (2) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt war, kann das Gericht in besonders leichten Fällen von Strafe absehen.

§ 175a
Mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, wird bestraft:

  • ein Mann, der einen anderen Mann mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben nötigt, mit ihm Unzucht zu treiben, oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;
  • ein Mann, der einem anderen Mann unter Missbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;
  • ein Mann über 21 Jahre, der eine männliche Person unter 21 Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;
  • ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern sich zur Unzucht missbrauchen lässt oder sich dazu anbietet.

Der Paragraph 175 existierte im Deutschen Strafgesetzbuch von 1871 bis 1994. Mehr dazu in der Wikipedia.

5 Seit 1. Juni 1934 nannte sich das Stadtkrankenhaus Johannstadt nach dem Reichsminister Rudolf-Heß-Krankenhaus. Direktor Hermann Jensen hatte den Auftrag, diese Einrichtung zu einer Mustereinrichtung der Neuen Deutschen Heilkunde auszubauen. Die dafür wesentliche Innere Abteilung unterstand dem Reichsärzteführer Gerhard Wagner.
6 Das Schwarze Korps vom 4. März 1937, Artikel „Das sind Staatsfeinde!“
7 Martin Broszat (Hg.): Kommandant in Auschwitz. Autobiografische Aufzeichnungen des Rudolf Höß, München, 1963


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ergänzungen gern, aber bitte recht freundlich.

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